Viele Menschen sterben unter Bedingungen, die sie selbst als unwürdig empfinden. Ausgerechnet in ihrer letzten Lebensphase werden sie oft im Stich gelassen. Es ist an der Zeit, diesen Missstand zu beheben.
Wir sind überzeugt: So wie es ein Recht auf Erste Hilfe gibt, das dafür sorgt, dass unser Leben im Notfall gerettet wird, sollte es auch ein Recht auf Letzte Hilfe geben, das garantiert, dass wir unser Leben in Würde beschließen können. Die Umsetzung dieses Rechts auf Letzte Hilfe verlangt nicht nur eine Verbesserung der palliativmedizinischen Versorgung und einen Ausbau der Hospizdienste, sondern auch die Möglichkeit, mit Unterstützung eines Arztes eigenverantwortlich aus dem Leben zu scheiden, wenn das Leiden unerträglich wird.
DER HARTE KAMPF UM SELBSTBESTIMMUNG
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020, das den umstrittenen § 217 StGB für verfassungswidrig erklärte, hat die „Kampagne für das Recht auf Letzte Hilfe“ ein wichtiges Etappenziel erreicht. Die Giordano-Bruno-Stiftung, welche die Aktion in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS) und dem Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) durchführte, hat das wegweisende Urteil zum Anlass genommen, um die wichtigsten Stationen unserer Aufklärungsarbeit Revue passieren zu lassen:
> zur gbs-Meldung: Der harte Kampf um Selbstbestimmung
WACHSAM BLEIBEN!
Trotz des Weckrufs aus Karlsruhe sind wir von unserem eigentlichen Kampagnen-Ziel, der Verwirklichung einer „Ars moriendi“, einer wahrhaft humanen und freiheitlichen Kultur, in der jeder Mensch so sterben kann, wie er sterben will, noch immer weit entfernt. Darüber hinaus gibt es in der Politik starke Bestrebungen, die Freiheitsräume, die das Bundesverfassungsgericht geöffnet hat, wieder zu schließen. So hat Gesundheitsminister Jens Spahn im April 2020 einen Expertenkreis um Vorschläge zur Neuregelung der Suizidassistenz gebeten, der überwiegend aus einstigen Befürwortern des verfassungswidrigen § 217 StGB bestand. Die Giordano-Bruno-Stiftung und das Hans-Albert-Institut haben hierauf mit einer Stellungnahme reagiert, die nicht nur die Vorgehensweise des Ministers scharf kritisierte, sondern auch anhand konkreter Vorschläge aufzeigte, wie eine alternative Regelung aussehen könnte, die dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird:
> zur gbs-Meldung: Keine Aushöhlung des Karlsruher Urteils
STERBEHILFE IST LEBENSHILFE
Sämtliche Argumente, die gegen die ärztliche Freitodbegleitung vorgebracht werden, sind durch die Erfahrungen der Länder, in denen sie offiziell praktiziert wird (Schweiz, Benelux-Staaten, Oregon, Washington), empirisch widerlegt:
- Die gesellschaftliche Akzeptanz von Freitodbegleitungen führt nicht zu einer Verschlechterung, sondern zu einer Verbesserung des palliativmedizinischen Angebots. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet der US-Bundesstaat Oregon und die Benelux-Staaten über die beste palliativmedizinische Versorgung der Welt verfügen. Palliativmedizin (»Hilfe beim Sterben«) und Freitodbegleitung (»Hilfe zum Sterben«) sind keine Gegensätze, sondern ergänzen sich.
- Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird keineswegs gestört, wenn sich ein Arzt dazu bekennt, Letzte Hilfe zu leisten, sondern vielmehr gestärkt. Denn die meisten Patienten beruhigt es zu wissen, dass sie auch in ausweglosen Situationen auf ihren Arzt zählen können. Die Gewissheit, dass sie im Notfall mit Unterstützung des Arztes selbst ihr Leid beenden können, wenn es unerträglich wird, führt zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität – auch wenn viele Patienten diese Hilfe am Ende gar nicht in Anspruch nehmen.
- Die Einführung von Freitodbegleitungen hat nicht zur Folge, dass Ärzte häufiger lebensverkürzende Maßnahmen ohne Einwilligung des Patienten einleiten. Im Gegenteil: Wo Menschen selbstbestimmt sterben dürfen, ist die Gefahr deutlich geringer, dass sie fremdbestimmt sterben müssen. Es ist daher unbedingt erforderlich, dass jeder Mensch die volle Verfügungsgewalt über sein Leben behält. Überträgt man dieses Recht auf andere (ob nun »die Gesellschaft« oder »die Ärzte«), steigt das Risiko, dass über das Leben und Sterben der Menschen über deren Köpfe hinweg entschieden wird.
- Werden ärztliche Freitodbegleitungen gesellschaftlich akzeptiert, steigen die Suizidversuchsraten keineswegs an, sie gehen vielmehr zurück! Dies zeigen beispielsweise die Zahlen der Schweiz. Tatsächlich gibt es keine bessere Maßnahme zur Verhinderung von Verzweiflungssuiziden und Verzweiflungssuizidversuchen als die Etablierung eines vernünftigen, am Selbstbestimmungsrecht des Patienten orientierten Systems der Letzten Hilfe. Angesichts von bis zu 200.000 Suizidversuchen jährlich und annähernd drei Schienensuiziden am Tag in Deutschland ist dies ein Problem von großer gesellschaftlicher Tragweite. Es wird ganz sicher nicht zu lösen sein, indem man es verdrängt oder die Suizidbeihilfe verbietet.Der richtige Weg wäre, Sterbewilligen ein offenes Gespräch zu ermöglichen, um abzuklären, ob es für sie nicht eine bessere Lösung zum Leben hin gibt. Dies ist allerdings nur unter der Voraussetzung möglich, dass ein Suizid (etwa in der Endphase einer unheilbaren Krankheit) als zulässig betrachtet wird. Lernen wir hier von den Erfahrungen auf anderen Gebieten: Es ist bekannt, dass rigorose Forderungen wie »Keine Drogen!«, »Kein Sex unter Teenagern!«, »Keine Abtreibung!«, »Keine Suizide!« kontraproduktiv sind, denn sie führen im Ergebnis zu mehr Drogentoten, mehr Teenager-Schwangerschaften, mehr Schwangerschaftsabbrüchen und auch zu mehr Suizidversuchen.
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